
Automatische Steuererklärung: Finanzamt macht Vorschläge per App
Julia Müller
Lesezeit ca. 5 Minuten / veröffentlicht am
Übersicht
Die Steuererklärung Vereinfachung nimmt endlich konkrete Formen an: Deutschland steht vor einer Revolution bei der Steuerabwicklung für Millionen von Bürgern. Gleich zwei wegweisende Initiativen zeigen, wie die jährliche Steuererklärung künftig deutlich einfacher werden könnte. Während das Finanzamt Kassel bereits ein Pilotprojekt mit automatischen Steuervorschlägen startet, plant Bayern eine bundesweite App-Lösung über ELSTER.
Die Vision ist revolutionär: Statt mühsam Belege zu sammeln und komplexe Formulare auszufüllen, erhalten Steuerpflichtige künftig einen fertigen Vorschlag vom Finanzamt. Dieser basiert auf bereits vorhandenen Daten von Arbeitgebern, Versicherungen und anderen Quellen. Mit nur einem Klick können Bürger dem Vorschlag zustimmen - oder ihn bei Bedarf ergänzen.
Diese Entwicklung markiert einen Paradigmenwechsel in der deutschen Steuerverwaltung und könnte die Art, wie Millionen von Menschen ihre Steuererklärung erstellen, fundamental verändern.
Pilotprojekt Kassel: Automatische Steuervorschläge ohne Erklärungspflicht
So funktioniert der neue Service
Das Finanzamt Kassel geht mit einem bislang einmaligen Service voran: Im Rahmen eines Pilotprojekts erstellt es automatisierte Vorschläge für die Festsetzung der Einkommensteuer 2024, ohne dass Steuerpflichtige vorher eine Steuererklärung abgeben müssen. Der Steuerverwaltung liegen aufgrund gesetzlicher Meldepflichten bereits zahlreiche Informationen vor – etwa über Lohn, Rente und Versicherungen.
Der Prozess ist denkbar einfach: Steuerpflichtige erhalten den automatisch generierten Vorschlag und haben vier Wochen Zeit, ihn zu prüfen. Sind sie einverstanden, müssen sie nichts weiter unternehmen. Nach Ablauf der Frist wird automatisch der Einkommensteuerbescheid erlassen. Möchten sie weitere Aufwendungen geltend machen, ist dies innerhalb der Frist möglich. Alternativ kann weiterhin eine traditionelle Steuererklärung abgegeben werden.
Vorteile für Bürger und Verwaltung
"Was wir in diesem Projekt testen, bringt Vorteile auf beiden Seiten: Die Bürgerinnen und Bürger ersparen sich die Steuererklärung – und unsere Verwaltung steigert ihre Effizienz", erklärt Finanzminister Professor Dr. R. Alexander Lorz. "So nutzen wir die Digitalisierung, um Bürokratie abzubauen und unsere Serviceorientierung zu steigern."
Bei erfolgreichem Verlauf soll das Programm ausgeweitet werden. Das Pilotprojekt richtet sich zunächst an Steuerpflichtige mit einfachen Verhältnissen, bei denen alle relevanten Daten bereits elektronisch vorliegen.
Bayerns Vision: Steuererklärung per Smartphone-App
ELSTER-App mit Ein-Klick-Zustimmung
Bayern plant einen noch ambitionierteren Ansatz: Eine Smartphone-App über das ELSTER-System soll Steuerpflichtigen künftig Entwürfe ihrer Steuererklärung direkt aufs Handy liefern. Die Vision von Finanz- und Heimatminister Albert Füracker: Mit nur einem Klick können Bürger dem Vorschlag zustimmen.
Die geplante App nutzt die umfangreichen Datenbestände der Steuerverwaltung, die bereits automatisch von verschiedenen Stellen bereitgestellt werden – etwa Daten zur Lohnsteuer sowie der Kranken- und Rentenversicherung. Auf dieser Basis erstellt das System personalisierte Steuererklärungsentwürfe, die vor der Zustimmung noch angepasst oder ergänzt werden können.
Bundesweite Koordination durch KONSENS
Bayern verfolgt bewusst keine Insellösung. Im Rahmen des gemeinschaftlichen Vorhabens KONSENS sollen alle Bundesländer einbezogen werden, um unterschiedliche Systeme zu vermeiden. Minister Füracker wirbt bei seinen Amtskolleginnen und -kollegen um Unterstützung des Vorhabens.
Der ehrgeizige Zeitplan sieht vor, dass bereits Mitte 2026 der Startschuss für einen ersten Anwenderkreis fallen könnte – zunächst für einfache Fälle wie ledige, kinderlose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Grenzen und Herausforderungen
Komplexes Recht als Hindernis
Trotz der technischen Möglichkeiten sieht Minister Füracker auch Grenzen: "Jede digitale Lösung kann allerdings am Ende nur so gut sein, wie es die rechtlichen Vorgaben zulassen. Hochkomplexes Recht führt jede digitale Umsetzung an Grenzen. Deshalb müssen wir beides tun: Unübersichtliche Rechtslandschaften insgesamt vereinfachen und zugleich moderne Verfahren einsetzen."
Diese Aussage verdeutlicht eine zentrale Herausforderung: Die Digitalisierung der Steuererklärung stößt an ihre Grenzen, wenn das zugrundeliegende Steuerrecht zu komplex bleibt. Eine echte Vereinfachung erfordert daher sowohl technische Innovation als auch Rechtsreformen.
Datenschutz und Akzeptanz
Die automatisierten Systeme basieren auf der umfassenden Nutzung bereits vorhandener Daten. Dies wirft Fragen zum Datenschutz und zur Akzeptanz bei den Bürgern auf. Die Verwaltung muss sicherstellen, dass die Datenverwendung transparent ist und die Privatsphäre respektiert wird.
Auswirkungen auf die Steuerberatung
Neue Rolle der Steuerberater
Diese Entwicklungen werden die Rolle der Steuerberater verändern. Während einfache Steuererklärungen zunehmend automatisiert werden, steigt die Nachfrage nach Beratung bei komplexen Sachverhalten. Steuerberater werden sich verstärkt auf strategische Steuerplanung, Gestaltungsberatung und die Betreuung von Unternehmen konzentrieren können.
Die Automatisierung einfacher Fälle könnte paradoxerweise das Image der Steuerberatung verbessern: Wenn Routinearbeiten wegfallen, können sich Berater auf anspruchsvolle, wertschöpfende Tätigkeiten fokussieren.
Zusammenfassung
Die Steuererklärung Vereinfachung durch automatische Vorschläge markiert einen historischen Wandel in der deutschen Steuerverwaltung. Das Pilotprojekt in Kassel zeigt bereits heute, wie die Zukunft aussehen könnte: Steuerpflichtige erhalten fertige Vorschläge und müssen nur noch zustimmen oder ergänzen.
Bayerns geplante App-Lösung über ELSTER könnte diese Innovation bundesweit verfügbar machen. Mit einem möglichen Start Mitte 2026 für einfache Fälle rückt die Vision einer wirklich einfachen Steuererklärung in greifbare Nähe.
Die Herausforderungen bleiben jedoch groß: Komplexes Steuerrecht, Datenschutzanforderungen und die Akzeptanz der Bürger müssen gemeistert werden. Dennoch zeigen beide Initiativen, dass Deutschland bei der Digitalisierung der Steuerverwaltung entscheidende Fortschritte macht.
Für Millionen von Steuerpflichtigen könnte sich dadurch die jährliche Steuererklärung von einer lästigen Pflicht zu einem einfachen Klick entwickeln.
