
Organschaft und atypisch stille Beteiligung: BFH schafft Rechtssicherheit

Julia Müller
Übersicht
Die steuerrechtliche Beurteilung von Organschaften beschäftigt Steuerberater und ihre Mandanten regelmäßig. Besondere Herausforderungen entstehen, wenn komplexere Beteiligungsstrukturen vorliegen. Ein aktuelles Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.12.2024 (Az. I R 33/22) schafft nun Klarheit bei der Kombination von Organschaft und atypisch stiller Beteiligung. Die Entscheidung öffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten für die steueroptimierte Unternehmensstrukturierung und beendet Unsicherheiten in der Beratungspraxis. Kern der Entscheidung: Eine atypisch stille Beteiligung an der Organgesellschaft steht der Anerkennung einer ertragsteuerrechtlichen Organschaft grundsätzlich nicht entgegen, selbst wenn dadurch nicht der handelsrechtlich gesamte Gewinn an den Organträger abgeführt wird.
Die rechtliche Ausgangslage der Organschaft
Grundprinzipien der steuerlichen Organschaft
Die ertragsteuerrechtliche Organschaft stellt ein bedeutendes Instrument der Steuerplanung dar. Dieses Konstrukt ermöglicht die Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen zu einer steuerlichen Einheit. Der wesentliche Vorteil liegt in der Möglichkeit zur direkten Verrechnung von Gewinnen und Verlusten zwischen den beteiligten Gesellschaften. Voraussetzung für die Anerkennung einer Organschaft ist unter anderem der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags nach § 291 AktG, durch den sich die Organgesellschaft verpflichtet, ihren "ganzen Gewinn" an den Organträger abzuführen.
Anforderungen an den Gewinnabführungsvertrag
Der Gewinnabführungsvertrag muss strenge formale und inhaltliche Anforderungen erfüllen. Gemäß § 14 Abs. 1 KStG muss die Organgesellschaft ihren "ganzen Gewinn" an den Organträger abführen. Diese Voraussetzung hat in der Vergangenheit zu kontroversen Diskussionen geführt, insbesondere wenn neben dem Organträger weitere Personen am Gewinn der Organgesellschaft beteiligt sind. Die Finanzverwaltung vertrat bisher häufig die Position, dass jede Form der Gewinnbeteiligung Dritter die Anerkennung der Organschaft gefährden könnte.
Das aktuelle BFH-Urteil zur atypisch stillen Beteiligung
Der Streitfall im Detail
Im entschiedenen Fall hatte eine Kommanditgesellschaft (KG) als Organträger mit einer GmbH als Organgesellschaft einen Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen. Die Besonderheit bestand darin, dass an der GmbH zusätzlich eine atypisch stille Beteiligung bestand, der vertragsgemäß 10% des Gewinns zustand. Das Finanzamt und später auch das Finanzgericht vertraten die Auffassung, dass durch diese Konstellation nicht der "ganze Gewinn" im Sinne des § 14 Abs. 1 KStG abgeführt werde, sondern lediglich 90%. Die Organschaft sei daher insgesamt nicht anzuerkennen.
Die Entscheidung des BFH
Der BFH hat diese restriktive Auslegung nun zurückgewiesen. Nach Ansicht des Gerichts bestimmt sich der Begriff des "ganzen Gewinns" nach zivilrechtlichen Maßstäben. Gewinnbeteiligungen, die einem stillen Gesellschafter zustehen – unabhängig davon, ob es sich um eine typische oder atypisch stille Beteiligung handelt – sind zivilrechtlich als Geschäftsunkosten vom Gewinn der Organgesellschaft abzusetzen. Der danach verbleibende "Rest-Gewinn" stellt den "ganzen Gewinn" dar, der an den Organträger abzuführen ist.
Der BFH stellte klar, dass die zivilrechtliche Qualifikation einer stillen Beteiligung als Teilgewinnabführungsvertrag dieser Beurteilung nicht entgegensteht. Entscheidend sei vielmehr die korrekte zivilrechtliche Ermittlung des abzuführenden Gewinns und die strikte Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen.
Praktische Auswirkungen für die Steuerberatung
Gestaltungsmöglichkeiten für Mandanten
Die Entscheidung eröffnet erhebliche Gestaltungsspielräume für die Beratungspraxis. Unternehmen können nun atypisch stille Beteiligungen an Organgesellschaften einrichten, ohne befürchten zu müssen, dass dadurch die steuerlichen Vorteile der Organschaft verloren gehen. Dies ermöglicht eine flexible Finanzierung von Tochtergesellschaften bei gleichzeitiger Nutzung der steuerlichen Vorteile der Organschaft, insbesondere der Verlustverrechnung innerhalb des Organkreises.
Handlungsempfehlungen für bestehende Strukturen
Für bestehende Unternehmensstrukturen empfiehlt sich eine Überprüfung, ob bisher aus Vorsichtsgründen auf atypisch stille Beteiligungen verzichtet wurde. In solchen Fällen kann nun eine Umstrukturierung sinnvoll sein, um Finanzierungs- und Steuervorteile zu kombinieren. Wichtig bleibt jedoch die korrekte vertragliche Gestaltung sowohl des Gewinnabführungsvertrags als auch der stillen Beteiligung.
Bestehende Organschaftsverhältnisse mit atypisch stillen Beteiligungen, die möglicherweise von der Finanzverwaltung beanstandet wurden, sollten nun überprüft und gegebenenfalls unter Hinweis auf die aktuelle BFH-Rechtsprechung verteidigt werden.
Zusammenfassung
Das Urteil des BFH zur Vereinbarkeit von Organschaft und atypisch stiller Beteiligung stellt eine bedeutende Klarstellung im Ertragsteuerrecht dar. Es widerlegt die bisher von der Finanzverwaltung vertretene restriktive Auslegung des Begriffs "ganzer Gewinn" und orientiert sich stattdessen an zivilrechtlichen Grundsätzen. Für die steuerberatende Praxis bietet die Entscheidung wertvolle Rechtssicherheit und neue Gestaltungsmöglichkeiten bei der Strukturierung von Unternehmensgruppen.
Die Kombination aus Organschaft und atypisch stiller Beteiligung ermöglicht nun eine flexible Finanzierungsstruktur bei gleichzeitiger Nutzung steuerlicher Vorteile. Wesentlich bleibt jedoch die korrekte vertragliche Gestaltung und die strikte Einhaltung der zivilrechtlichen Verpflichtungen. Steuerberater sollten ihre Mandanten über diese erweiterten Möglichkeiten informieren und bestehende Strukturen auf Optimierungspotenzial überprüfen.